Kunst ist, was wir zu Kunst erklären
Als Peter Wittstadt, Bildhauer und Kunstpädagoge am Bayern Kolleg, vor fünf Jahren in der Untermain-Stadt Lohr mit seinem über drei Meter großen Schneewittchen im Schlepptau aufkreuzte, rief eine erkleckliche Einwohnerzahl „Skandal, Skandal“. „So was sollte also Kunst sein und hässlich wie Vieh sei das Manschkerl“, schallte es Wittstadt entgegen, und das waren noch die harmloseren Bemerkungen. Wer hätt`s gedacht, auch im 21. Jahrhundert ist Kunst noch für Skandale und Skandälchen gut – und Schneewittchen zumal.
„Ausmalen ist keine Kunst“
Jetzt eckte auch die Friedrich-Fischer-Schule mit Kunst an, und das längst, bevor die Öffentlichkeit am kommenden Donnerstagabend ab 19 Uhr die Gelegenheit haben wird, sich über den Beitrag der FFS zur „KulturPackt“-Ausstellung „Junges Forum Kunst“ mit dem Titel „Begegnungen“ zu empören. Ein Skandälchen ist das nicht gleich, aber es vermag der kurze Bericht davon vielleicht doch die eine oder andere, den einen oder anderen Besucher zusätzlich in die Ausstellung zu locken.
Kunst ist nicht eindimensional
Kunstlehrer Rüdiger Klein hatte in nicht einmal fünf Unterrichtstunden mit der Klasse FS11d einen Beitrag zur Kunstausstellung „Begegnungen“ entwickelt, der sich nach Einschätzung der Schülerinnen und Schüler wie auch ihres Lehrers sehr wohl sehen lassen kann.
Denn in der Arbeit der FS11d begegnen 20 „Ausmalquadrate“ einem Tableau mit acht 3-D-Drucken von einem Werkstück, das nach einer Stempelvorlage aus dem FFS-Gründungsjahr 1969/70 digitalisiert wurde. Die Stempelvorlage fürs Technische Zeichnen wurde in eine Serie von „Malbögen“ verwandelt und die Schülerinnen und Schüler durften die Farben für ihren je eigenen Gestaltungsversuch frei wählen, sollten dann aber ihre Individualität hintanstellen. Ein von Einzelpersönlichkeiten gestaltete Serie im Sinne eines Andy Warhol war das Ziel dieser Gemeinschaftsarbeit.
Es sollten sich also frei nach dem Motto der Ausstellung „Individualität“ und „Normierung“ begegnen. Zudem begegnen die Stempeldruckvorlagen von 1969/70 den 3-D-Print-Möglichkeiten von 2019 – sinnfälliger können Begegnungen kaum sein.
„Das sei gar keine Kunst“, durfte sich am Montagmittag Kunstlehrer Klein von einem Kultur-Packt-Mitglied dann aber um die Ohren hauen lassen. Denn, dass 17-Jährige eine Vorlage ausmalen und das dann Kunst wäre, das sei ja wohl kaum zu glauben.
Kunstlehrer Klein zeigte sich über eine derart anachronistische Kunstauffassung einigermaßen verwundert, entgegnete aber doch mit Hilfe von Marcel Duchamp (es sei an sein Readymade „Fontäne“ von 1917 erinnert), Andy Warhol und Joseph Beuys (wenigstens), dass Kunst dasjenige Ereignis sei, das ein Mensch zur Kunst erkläre.
Die FS11d und er hätten eben den nun in der Ausstellung „Begegnungen“ präsentierten Werkstück-Fries als Kunstwerk deklariert, weshalb die Arbeit der FS11d als Kunst zu gelten habe.
Es begegnen sich in der Ausstellung „Begegnungen“ demnach auch die unterschiedlichsten Kunstauffassungen. „Und wir ecken da auch gerne an, wenn es der Sache der Kunst dient“, erklärt Kunstlehrer Klein dazu.
Außerdem warten die Schülerinnen und Schüler in der Ausstellung im Rathaus-Fletz nicht nur mit ihrem seriellen Beitrag auf, es sind zudem weit über 30 Grafiken am Start, die man in einer Bilderkrippe bewundern kann und die mit spartanischem Mitteleinsatz sehr individuell gestaltet wurden. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Grafiken als Kunst durchgehen.
Rüdiger Klein