Rechtsfindung und Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat
Die in der Integrationsvorklasse (IVKL) an der Friedrich-Fischer-Schule engagierten Lehrerinnen und Lehrer haben für die Zeit nach dem Prüfungsmarathon eine ganze Reihe von Projekten vorbereitet, die zum Teil am außerschulischen Lernort stattfanden. Unter anderem hatte Oberstudienrätin Corinna Lindacher einen Gang zum Amtsgericht Schweinfurt organisiert.
Lindacher, die selbst bereits seit fünf Jahren Schöffin am Amtsgericht ist, konnte die Teilnahme der IVKL an einer öffentlichen Verhandlung des Jugendgerichts organisieren. Der Fall selbst handelte von einem jungen Erwachsenen, dem Körperverletzung und Widerstand gegen Vollzugsbeamte zur Last gelegt wurden.
Rechtsfrieden wieder herstellen
Für die als Zaungäste zugelassenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der öffentlichen Verhandlung wurde deutlich, dass das deutsche Rechtssystem gut organisiert ist und die Richterinnen und Richter nach Abwägung aller Fakten und Beweismittel in aller Regel ein Urteil fällen, das geeignet ist, den Rechtsfrieden wieder herzustellen und Gerechtigkeit gegen jedermann walten lässt.
Der Weg zum gerechten Urteil
Umso glaubwürdiger war diese Demonstration eines funktionierenden Rechtsstaates, als der Jugendrichter Michael Roth und der Verteidiger Rechtsanwalt Stefan Seidel noch im Gerichtssaal den Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort zu den Fragen standen, die im Laufe des Prozesses beim jugendlichen Publikum aufgetaucht waren. Dabei ging es den Schülerinnen und Schülern der IVKL auch darum, zu erfahren, wie man prinzipiell zu einem gerechten Urteil gelangen könne und weshalb die Laienrichterinnen und Laienrichter dem Berufsrichter bei einem Verfahren vor dem Amtsgericht gleichgesetzt seien, obwohl sie doch gar keine juristische Ausbildung hätten.
Wahrheit oder Lüge
„Können Sie feststellen, ob jemand lügt?“, wollten die Schülerinnen und Schüler genauso von Richter Michael Roth wissen, wie sie den Verteidiger Stefan Seidel zu seiner Verteidigungsstrategie interviewten.
Souverän begegnete Richter Michael Roth diesen Nachforschungen der Schülerinnen und Schüler von der FFS. Die Wahrheit, die vor Gericht vorgetragen werde, sei ja eigentlich immer viele Wahrheiten, denn es sei vollkommen legitim und liege auch in der Natur des Menschen, dass jeder Mensch von der Welt und den Dingen in der Welt seine ganz eigene, subjektive Wahrheit habe. Infolgedessen könne man auch nicht einfach sagen, dass jemand die Unwahrheit spreche, wenn er vermeintlich oder sogar offensichtlich lüge. Lügen oder falsche Aussagen könne man wohl aufgrund von Beweisen und Zeugenaussagen Dritter entlarven, aber auch den Beweismitteln und den Zeugen dürfe und könne man nicht immer alles glauben. „Oder“, fragte Roth die Schülerinnen und Schüler, „glauben Sie derjenigen Person mehr, die ihre Aussage in größter Gelassenheit vortragen kann. Diejenige Person aber, die vor Gericht aufgeregt ist, als ob sie in einer Prüfung wäre, die sagt dann die Unwahrheit?“
Wahrheitsserum
Also, folgerte Roth, müsse man all den Äußerlichkeiten mit größter Vorsicht und Unvoreingenommenheit begegnen. Ein Probe aufs Exempel gebe es bei der Wahrheitsfindung aber schon, verriet Roth dann doch noch eine Art Wahrheitsserum. Je wahrerer eine Geschichte sei, desto sicherer könne ein Beklagter oder eine Beklagte, aber eben auch eine Zeugin oder ein Zeuge diese Geschichte auch wiederholt erzählen. Auch bei den Details ergäben sich dann nur selten Abweichungen und Widersprüche. Und noch ein Verfahren biete sich an, um dem Wahrheitsgehalt einer Aussage zu prüfen. „Lassen Sie die aussagende Person die jeweilige Geschichte doch einfach von rückwärts erzählen, vom Ende her. Wenn das gelingt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Wahrheit berichtet wurde“, erläuterte Roth. Aber auch darauf würde er sich dann nicht hundertprozentig verlassen wollen, so Roth.
Qualitätsarbeit der Staatsanwaltschaft
Große Anerkennung zollten Richter Michael Roth und Anwalt Stefan Seidel der Staatsanwaltschaft. Die müsse einfach immer hervorragend arbeiten, erklärte Roth, dann kämen auch nur Fälle auf seinen Tisch, die tatsächlich verhandelbar sind und die umsichtig auf- und vorbereitet seien.
Beweismitteln ist nicht immer zu trauen
Rechtsanwalt Stefan Seidel verwies beispielhaft auf Spuren, die heutzutage mit modernsten Mittel an Tatorten gesichert werden könnten. Aber auch sie seien immer mit aller Vorsicht zu betrachten, da sie ja auch in unlauterer Absicht an einem Tatort platziert worden sein könnten.
Kritische Schöffen erwünscht
Richter Roth verdeutlichte zudem, dass er sich kritische Schöffinnen und Schöffen wünsche, denn die seien ein gutes Korrektiv für eine Richterin oder einen Richter. Justitia tut demnach gut daran, sich möglichst unvoreingenommen immer auch die andere Seite anzuhören und im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden.
Bei dem Verfahren, bei dem die Schülerinnen und Schüler der IVKL Augen- und Ohrenzeugen sein durften, kam letztlich ein Urteil zustande, dass die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer überzeugte und ihrem Rechtsempfinden entsprach.
ustitia konnte sich als blind, rechtskundig und um gerechten Ausgleich bemüht zeigen und war im speziellen Fall auch erfolgreich in diesen Anstrengungen. Der Beklagte nahm das Urteil ohne Zögern an.
RÜDIGER KLEIN