Kompetenzorientiertes Lernen im Geschichtsunterricht mit Portfolios
Seit zehn Jahren forschen Schülerinnen und Schüler der 11. Klassen im Geschichtsunterricht mit der Hilfe von komplexen Lernaufgaben. In einer Sammelmappe (Portfolio) legen sie nicht nur Einträge und Arbeitsblätter ab, sondern erforschen ihre Umwelt ("Begegnungen mit Geschichte"), führen ein Lexikon mit Fachbegriffen, dokumentieren Abfragen und erforschen fachgerecht und methodensicher eine Quelle aus ihrer Umgebung. 2018 ist ein multiples Gedenkjahr: 200 Jahre bayerische Verfassung, 100 Jahre Ende des Ersten Weltkriegs und Gründung des Freistaates Bayern. Ein Forschungsergebnis soll aus diesem Anlass hier vorgestellt werden: Etienne Lange, FS11a, fand Feldpostkarten eines Vorfahren aus dem 1. Weltkrieg und analysierte sie.
Jörg Nellen, Oberstudienrat
Feldpostkarten erzählen vom Gas
100 Jahre 1. Weltkrieg
Nachdem das erste Forschungsprojekt fehlgeschlagen war, suchte ich erneut in meiner Familie nach einer Quelle, nach der ich genauer recherchieren könnte. Und ich fand tatsächlich 28 noch lesbare Soldatenbriefe/Feldpostenbriefe, welche von Januar 1915 bis September 1915 sind. Der Name des Vorfahren war A. Schulze aus der 10. Kompanie des RJR (Reserve-Infanterie-Regiment) 234. Nach Aussagen in der Familie starb er im Krieg. Ich vermutete, dass er um die Zeit starb, in dem die Briefe aufhörten. Doch als ich näher nach einem A. Schulze suchte, fand ich nur eine Person dieser Kompanie die, mit diesem Namen, im Krieg verstorben war: Alfred Schulz. Dieser starb im September 1916. Nach eigenen Aussagen der Familie wären einige Briefe und weitere Geschichtsquellen wie Fotos o. ä. bei einem Brand verloren gegangen. Doch die Briefe selbst zeigen mir, dass eine Person, mit der ich verwand bin, im Ersten Weltkrieg vieles erlebt hat, und ich weiß immer noch nicht was. So stelle ich mir die Frage:
Was hat mein Vorfahr A. Schulz im Krieg erlebt?
Um diese Frage zu beantworten entschied ich mich im Internet zu recherchieren, wo sein Regiment zu welchem Zeitpunkt im Krieg war, da die Briefe nur persönlicheres abdecken. Das RJR Nr. 234 bestand zu 75 % aus Freiwilligen (wovon die meisten Studenten aus Kassel waren) und war der 51. Reserve-Division untergeordnet. Das RJR wurde als Teil der 101. Reserve-Infanterie-Brigade am 10. September 1914 gebildet. Sie kämpften hauptsächlich an der Westfront in Belgien und Frankreich. Nach der Ankunft erlitten sie schwere Verluste bei den „schweren Gefechten bei Ypern“ als sie erfolglos versuchten Langemarck und Mangelaere zu nehmen. Ab diesem Zeitpunkt
ging sie an der Yser zum Stellungskrieg (Sicherung der Fronten, Defensive Haltungen) über.
Der früheste datierte Brief, den wir in unserem Besitz haben, ist vom Januar 1915. Er erwähnt zu diesem Zeitpunkt häufiger, wie A. Schulz die Familie vermisst und dass er jeden Tag beten würde, dass „Gottes Gnade“ ihn nicht trifft. Er hatte ziemliche Todesangst und hoffte jeden Tag, dass die Gefahr zu sterben vorbei wäre. Das einzige Datum, welches seinerseits gegeben wurde, (andere Daten sind die Ankunft der Briefe bei seiner Familie) war der 15. März 1915 in Belgien. Zu diesem Zeitpunkt war der Stellungskrieg noch im Gange und sollte noch eine kleine Weile andauern.
Chlorgas
Am 22. April 1915 trat sein Regiment im Verbund der 4. Armee erneut zum Angriff an. Dabei erlebte er persönlich den ersten großen Einsatz von tödlichem Chlorgas. Durch das warme Wetter wurde das Gas schnell zersetzt und hatte eine nur geringe Wirkung. Allerdings hatte dies schon genug Wirkung auf ihn, da er schrieb, dass er über den Einsatz solcher Waffen schockiert wäre und fragte: „Ist dies Krieg?“. Bis zum September hatten die Briten dann selbst Vorbereitungen zu einem chemischen Gegenschlag abgeschlossen, womit Gaswaffen nicht mehr geheim waren, sondern lediglich eine weitere Waffe wurde, mit der man militärische Überlegenheit zu erlangen versuchte. Ab diesem Zeitpunkt wird vom Gaskrieg gesprochen, da Gasangriffe erstmals zur „normalen“ Kriegsgefahr gehörten. Es wurde schon zu damaligen Zeiten debattiert, ob der Einsatz einer solchen Waffe ein Kriegsverbrechen wäre.
Stellungskrieg
Während den ersten Gasangriffen, hatte das deutsche Reich einen großen Durchbruch über Pilkem-Langemarck bis zu den Höhen nördlich Ypern. In den Folgenden Tagen stürmten sie Kerselaer, St. Julien und von de Roode-Carrière-Ferme. Sie verschrieben auch weitere Erfolge wie die Erstürmung von Vanheule-Ferme, Fortuin und die Erstürmung von Höhen östlich Wieltje. Daraufhin gab es Kämpfe um die Höhen nordöstlich Ypern. Nach einigen Verlusten beider Seiten gab es für über 1 Jahr erneut einen Stellungskampf an der Yser, welcher vom 26.05.1915 bis zum 16.09.1916 anhalten sollte.
Gefallen
Es gibt bis zum September 1915 noch Briefe in denen er immer wieder Gott erwähnt und hofft, dass es seiner Familie gut geht. Man kann sich nur vorstellen, wie schrecklich für ihn das alles gewesen sein muss. Ab diesem Zeitpunkt gibt es dann keine weiteren Briefe mehr, da diese vermutlich in einem Feuer verloren gingen.
Nach einiger Recherche fand ich heraus, dass ein gewisser Alfred Schulze am 10. September 1916 fiel. Womit er die Schlacht an der Somme nicht mehr miterlebte.
Er ist somit einer der insgesamt über 2 Millionen gefallenen Soldaten des Deutschen Reiches im 1. Weltkrieg.
Etienne Lange, FS11a