Der Flyer zur Ausstellung „Expressionismus in Kunst und Film“ starrt einen mit weitaufgerissenen Augen an. Sogartig ziehen sie in die Ausstellung hinein. Das Filmstill aus dem Robert Wiene-Film, „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von 1920 glaubt man freilich schon irgendwo einmal gesehen zu haben. Und tatsächlich bedient sich der auch schon historisch zu nennende ARD-Tatort-Trailer eines ähnlich magisch inszenierten „Augenblicks“ bis heute. Eine späte Nachwirkung des expressionistischen Films in der Gegenwart.
Gruselfaktor
Welche Wirkung mochte dann erst 1920 das Filmplakat gehabt haben, das mit der kryptischen Aufforderung „Du musst Caligari werden“ hundertfach in ganz Berlin gehängt war, um die Menschen in den Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“ zu locken. Die Impulse für Grusel und faszinierte Neugierde, die Versuchungen des Verbotenen und die Ankündigung des Unerhörten und schier Unglaublichen wirkten in dieser Plakataktion des Produzenten zusammen, um das Publikum in das Abenteuer „Kino“ und das neue Film-Genre „Horror“ zu verstricken.
Suggestivkraft
Die Suggestivkraft der stehenden und der laufenden Bilder haben sich Museumschef Prof. Dr. Wolf Eiermann und sein Team in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Emden, der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und dem Institut für Kulturaustausch in Tübingen zu eigen gemacht, als sie eine der spannendsten Ausstellung der letzten Jahre konzipierten.
Deeply impressed
Vor den Weihnachtsferien hat die Deutsch- und Englisch-Lehrerin Antje Hunziker für einige 12. Klassen einen Unterrichtsgang in diese exquisite Ausstellung im Museum Georg Schäfer organisiert. Der Ausstellungsinhalt passt aber auch zu gut mit den Lehrplaninhalten für die 12. Klasse im Fach Deutsch zusammen. Die Schülerinnen und Schüler, die in zwei Gruppen von Rebecca Mönch und Sandra Sembach geführt wurden, waren deeply impressed von diesem besonderen Ausstellungsspektakel.
Natürlich amüsieren uns Heutige die pathetischen Posen und die nicht selten ungelenk oder automatenhaft wirkenden Bewegungen und in den Stummfilmen der 1920er Jahre auch immer wieder, die Aufnahmetechniken und die Darstellungsmöglichkeiten sind ja nicht einhundert Jahre lang stehen geblieben. Aber Kreativität und Experimentierfreude, die sich bei der Inszenierung von Grusel, Grauen und Schauder austobten, sie waren in den 1920er Jahren innovativ und packend wie selten.
Anonymität der Großstadt
Im Museum Georg Schäfer kann man noch bis 19. Februar in die expressionistische Filmkunst eintauchen, denn von den zwölf berühmtesten Filmen der turbulenten 1920er Jahre gibt es Ausschnitte zu sehen, die in den einzelnen Ausstellungsabteilungen immer wieder mit den Zeugnissen der expressionistischen Malerei und Grafik konfrontiert werden. Und da wird dann ohne Umschweife deutlich, wie viel sich die Filmregisseure doch bei den Expressionisten abgeguckt haben. Wankende und schwankende mittelalterliche Stadtansichten, wie sie später im Film „Der Golem“ wiederkehren, gab es 1911 schon in den Linolschnitten von Christian Rohlfs und den Radierungen von Lyonel Feininger.
Während die Dresdener Brücke-Maler im Holzschnitt, der Zeichnung oder mit Ölfarben und in der Skulptur magische Unbekümmertheit feierten, bannten Filmkünstler wie Wiene, Lang und Murnau die Nervosität, Zerrissenheit und Exaltiertheit der 1920er auf Zelluloid und ließen mit Filmtiteln wie „Nosferatu, Symphonie des Grauens“ (1922), „Der letzte Mann“ oder „Metropolis“ apokalyptische Visionen entstehen, die die Filmgeschichte auf immer prägen sollten.
RÜDIGER KLEIN